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Architekten empört wegen erhöhter Grünflächenziffer

Datum

Die Stadt Winterthur will im Rahmen einer Teilrevision der Bau- und Zonenordnung neue Mindestgrünflächen auf bebauten Parzellen festlegen. Architekten befürchten, dass viele Wohnprojekte unmöglich werden.

Das Amt für Städtebau will bei Bauprojekten neue Mindestanteile für Grünflächen einführen. Die sogenannte Grünflächenziffer definiert den Anteil «natürlicher oder bepflanzter Bodenfläche eines Grundstücks, die nicht versiegelt ist und nicht als Abstellfläche dient». In der Wohnzone soll dieser Anteil neu 55 bis 65 Prozent betragen. Das sei zu hoch, zu starr und viel zu undifferenziert, ärgern sich die Architekten Patrick Frei und Hannes Moos. Sie sind nicht die Einzigen, die Kritik üben.

Die Änderung soll im Rahmen einer Teilrevision der Bau- und Zonenordnung erfolgen. Das Stadtparlament soll diese Ende August diskutieren, danach muss die kantonale Baudirektion zustimmen, später auch noch der Regierungsrat. Die strengeren Regeln gelten dennoch schon heute, wegen der «negativen Vorwirkung». Hannes Moos musste deswegen bereits erste Projekte stoppen – zum Beispiel eine Aufstockung in Veltheim und den Bau zweier Mehrfamilienhäuser in Wülflingen.

Der Hauseigentümerverband Region Winterthur fordert, komplett auf die Grünflächenziffer zu verzichten – da ja schon das kantonale Planungs- und Baugesetz darauf ziele, Grünflächen zu erhalten. Auch auf politischer Ebene wird gegen die Neuerung mobilisiert – etwa auf der bürgerlichen Onlineplattform «Forum Winterthur».

Stadt Winterthur schockt Architekten und Bauherrinnen

Das Amt für Städtebau hat neue Mindestanteile für Grünflächen festgelegt und stösst auf Kritik. Von «massiven Einschränkungen» ist die Rede. Zig Wohnprojekte müssen auf Eis gelegt werden.

In Winterthurs Architekturbranche herrscht derzeit helle Aufregung. «Egal, wen ich in der Szene angerufen habe – überall die gleiche Reaktion: Hanebüchen!», sagt Patrick Frei, der in Wülflingen ein Architekturbüro führt. Berufskollege Hannes Moos, der in seinem Büro am Lagerplatz neben ihm sitzt, nickt zustimmend mit dem Kopf. Er und sein Team mussten in den letzten Wochen bei ihren laufenden Wohnprojekten zünftig über die Bücher. Die Bilanz: Vier laufende Wohnprojekte mussten auf Eis gelegt werden. «Unter diesen Bedingungen kann man in Winterthur praktisch kaum mehr bauen.»

Auslöser für den drohenden Vollstopp sind neue Mindestanteile an Grünflächen bei Bauprojekten, die das Amt für Städtebau im Rahmen einer Teilrevision der Bau- und Zonenordnung (BZO) einführen will. Im Fachjargon: die Grünflächenziffer. Sie gibt den Anteil an «natürlicher oder bepflanzter Bodenfläche eines Grundstücks, die nicht versiegelt ist und nicht als Abstellfläche dient», vor – etwas, was es so strikt vorher nicht gab.

«Zu starr und viel zu undifferenziert»

Die Anteile variieren. Mit Abstand am höchsten sind sie in der Wohnzone. Dort gilt neu ein Grünflächenanteil von 55 bis 65 Prozent. Im Gegensatz zu Zentrumsund Arbeitsplatzzonen (30 bis 40 Prozent) dürfen die Bauherren fehlende Grünflächen am Boden nicht kompensieren, mit Dach- oder Fassadenbegrünung etwa.

Zum Vergleich: Die bisherige Freiflächenziffer betrug 20 Prozent. Dazu zählen auch unbebaute versiegelte Flächen, wie Wege, Spielplätze oder Zufahrtsrampen zu Tiefgaragen.

Als unrealistisch hoch, zu starr und viel zu undifferenziert taxieren Moos und Frei die neuen Bestimmungen. «Es gibt keinen Leitfaden. Wir haben keine Ahnung, wie die Grünflächenziffer genau berechnet wird. Und auch nicht, ob und wo es allenfalls noch Spielraum gäbe», sagt Frei. Und als «fatal» bezeichnen beide: Die neuen Limiten gelten bereits. Nicht nur für neue, sondern auch für hängige Baugesuche. Dies, obwohl die Teilrevision erst in der Vernehmlassung ist und öffentlich aufliegt. Betroffene können sich also noch einbringen und ihre Bedenken anmelden.

Das entscheidende Reizwort lautet «negative Vorwirkung». Sie bewirkt, dass geplante, aber strengere Regeln ab sofort gelten. So lange, bis der gesamte politische Prozess durchlaufen ist und die Teilrevision rechtskräftig wird. Und das wird dauern. Das Stadtparlament soll die BZO-Teilrevision erst Ende August diskutieren. Änderungen muss die kantonale Baudirektion abschliessend genehmigen – und schliesslich der Regierungsrat festsetzen. Rekurse könnten den Prozess zusätzlich verzögern.

Unter diesen Bedingungen kann man in Winterthur praktisch kaum mehr bauen.

Hannes Moos, Architekt

Beide, Moos und Frei, sagen, sie gingen davon aus, dass damit für rund 75 Prozent der bestehenden Bauten der Stadt aktuell faktisch ein Veränderungsverbot auf ihrem Umschwung verhängt wurde. Dies, weil sie die neu eingeführten Grünflächenziffern bereits heute längst nicht erfüllen. «Bei den meisten Grundstücken in der Wohnzone dürfte sie zwischen 35 und 50 Prozent liegen», schätzt Moos.

Zu den Projekten, die sein Büro stoppen musste, zählt beispielsweise ein altes Wohnhaus an der Bleichestrasse in Veltheim. Dort sollte mit der Baumassenreserve um zwei Geschosse aufgestockt werden, wie es nebenan bereits passiert ist. Aber: Die aktuelle Grünflächenziffer ist viel zu tief. «Ein angebauter Lift, ein Velounterstand oder Balkone wären nicht mehr möglich», sagt Moos. Bei einem anderen Projekt in Wülflingen sei geplant, eine Villa abzureissen und zwei Mehrfamilienhäuser mit sieben Wohnungen zu bauen. Auf dem üppigen Umschwung wurden vor ein paar Jahren bereits zwei Mikrohäuser gebaut. «Diese müssten nun weichen», sagt Moos.

Frei hingegen hatte mehr Glück. Sein Mehrfamilienhaus mit sechs Wohnungen, das kürzlich an der Tösstalstrasse fertig wurde, steht heute. «Heute könnte ich das so nicht mehr bauen.» Er hätte das benachbarte Haus abreissen und ein neues, grösseres hinstellen müssen, um auf die gleiche Anzahl Wohnungen zu kommen. «Allerdings wären diese neu und damit deutlich teurer.»

Wie kam es zu diesem radikalen Vorschlag seitens der städtischen Baubehörden? Am Anfang steht ein schweizweites Konkordat zwischen den Kantonen. Sie wollen die Baubegriffe harmonisieren. Dazu gehört auch die Grünflächenziffer. Sie soll die bisherige Freiflächenziffer ersetzen.

Der Kanton Zürich ist dem Konkordat zwar nicht beigetreten, will es aber umsetzen. Das müssen die Städte und Gemeinden über die BZO tun, haben allerdings Spielraum. Pflicht ist die Grünflächenziffer nicht. Der Stadtrat beruft sich bei seinem Entscheid auf eine Motion aus dem Parlament. Darin wird er aufgefordert, den Grünanteil in der BZO näher zu bestimmen. Für genauere Abklärungen hat er eine Studie in Auftrag gegeben. Auf deren Empfehlungen stütze sich nun der Vorschlag. Ziel sei es, dass der Rückgang an Grünfläche gestoppt werde. Der Anteil soll sogar steigen. Allerdings verträglich für die Bauherrinnen und Bauherren. So, dass die geltenden Baumassen nach wie vor ausgenützt werden können.

Vorzeigeprojekte so nicht mehr möglich

Die Studie zoomt in ihrer Grünflächenanalyse in verschiedene Quartiere. Was auffällt: Der mittlere anrechenbare Grünflächenanteil in der Wohnzone liegt laut den Autoren derzeit zwischen 41 und 79 Prozent. Moos und Frei schütteln beide den Kopf. Die Realität sehe anders aus.

Die zwei Architekten sind bei weitem nicht die Einzigen in der Branche, die sich an den neuen Grenzwerten stossen. Laut dem Departement für Bau und Mobilität sind bislang sechs Einwendungen eingegangen. Es werden noch mehr werden. Auch die zwei grössten Wohnbaugenossenschaften GWG und HGW wollen sich wehren. «Als Wohnbaugenossenschaft ist es uns – gerade in Zeiten von Wohnungsnot – wichtig, möglichst viel Wohnraum dort zu schaffen, wo er nachgefragt und von der Infrastruktur her sinnvoll ist. Dazu braucht es in Winterthur deutlich mehr Verdichtungsmöglichkeiten», schreibt etwa GWG-Geschäftsführer Andreas Siegenthaler auf Anfrage. Die so geplante Grünflächenziffer verhindere dies allerdings.

In nur zwei von 27 GWG-Siedlungen erreiche man den Wert aktuell. Dort weiter zu verdichten, würde so unmöglich. Ausserdem wären zig – teils preisgekrönte Siedlungen – unter den neuen Auflagen nicht entstanden. In der Siedlung Vogelsang zum Beispiel hätte es, so Siegenthaler, dann nur Platz für 200 statt 400 Bewohnerinnen und Bewohner. Wegen neuer Höhenbeschränkungen, aber auch wegen der Grünflächenziffer. Diese müsste im Vogelsang-Quartier neu fast doppelt so hoch sein. Auch die «Blauen Häuser» im Mattenbachquartier (131 Reihenhäuser), die Überbauung Lokomotive im Tössfeld (120 Wohnungen) oder die Hobelwerk-Siedlung (160 Wohnungen) in Oberwinterthur wären laut Siegenthaler so künftig nicht mehr möglich.

Gegenwind auch auf politischer Ebene

Mehr Grünflächen, ja, meine die GWG: Aber die Stadt müsse auf jeden Fall «nochmals über die Bücher». Gerade «in Zeiten von Wohnungsnot». Selbst die Studie, auf die sich die Stadt stützt, weist darauf hin, dass eine Grünflächenziffer zwischen 55 und 60 Prozent in der Wohnzone mitunter zu einer «Reduktion der Wohnungsanzahl» führen würde. Auch der Verein Forum Architektur plant eine Einwendung. Die Einführung einer Grünflächenziffer begrüsse man zwar, sehe aber einen Zielkonflikt mit der Verdichtungsstrategie, wie sie der überarbeitete kommunale Richtplan fordere. Zumindest Ausnahmeoptionen, einen Leitfaden und eine Übergangsphase brauche es.

Der Hauseigentümerverband Region Winterthur fordert auf seiner Website, komplett auf die Grünflächenziffer zu verzichten. Die Umsetzung des kantonalen Planungs- und Baugesetzes reiche. Dessen Stossrichtung: Grünflächen erhalten und deren Versiegelung möglichst gering zu halten.

Auf politischer Ebene bahnt sich ebenfalls Gegenwind an. Auf der bürgerlichen Onlineplattform «Forum Winterthur» schreibt FDP-Stadtparlamentarierin Romana Heuberger – ihres Zeichens Präsidentin der Stadtbaukommission und für den Schweizerischen Baumeisterverband tätig – gegen die geplante Grünflächenziffer an. Diese bedrohe als «trojanisches Pferd» die innere Verdichtung und letztlich auch den Bau von mehr preisgünstigen Wohnungen. Der Stadtrat schiesse weit über das Ziel der überwiesenen Motion hinaus.

Wie machen es andere Gemeinden?

Dass die Stadt die Grünflächenziffer überdurchschnittlich hoch angesetzt hat – gerade in Wohnzonen –, zeigt der Vergleich mit anderen Gemeinden. Gemäss der Baudirektion haben bisher 27 Gemeinden die Ziffern in ihrer BZO verankert. In den Wohnzonen wurden sie, das zeigt eine mitgeschickte Liste, wesentlich tiefer angesetzt. In Lindau beispielsweise bei 20 bis 30 Prozent, in Ellikon an der Thur bei 35 Prozent und in Embrach bei 40 Prozent. Die Stadt Zürich prüft eine Einführung derzeit.

Bemerkenswert ist auch, dass das Winterthurer Bauinspektorat auf der städtischen Website auf eine Werkanleitung vom Architektur- und Planungsbüro Suter von Känel Wild verweist. Darin wird eine Grünflächenziffer von 40 bis 50 Prozent in der Wohnzone genannt, damit eine «ordentliche Grundstücksnutzung» nicht «übermässig erschwert» werde.

Die Vernehmlassung läuft, und doch hat der Stadtrat mit seinem Entscheid wegen der «negativen Vorwirkung» bereits Tatsachen geschaffen. Die vorgeschlagenen Grünflächenziffern gelten. Daran gibt es juristisch nichts zu rütteln, wie es beim Amt für Städtebau auf Nachfrage heisst. Dort verweist man auch auf den kantonalen Leitfaden als Orientierungshilfe und verspricht, «wo immer möglich pragmatisch vorzugehen.»

Die beiden Architekten Hannes Moos und Patrick Frei verdrehen die Augen. Für sie sei klar: Das bremse den Wohnungsbau in Winterthur massiv aus. Und das womöglich bis Ende Jahr – oder noch länger.

Till Hirsekorn, Landbote

Der Landbote berichtet in der Ausgabe vom 21. Januar 2025 über die geplante Grünflächenziffer in Winterthur, zu welcher neben dem HEV Region Winterthur auch weitere Akteure aus der Immobilienbranche eine Stellungnahme einreichten.

Weitere Informationen zur geplanten Grünflächenziffer in Winterthur und die Stellungnahme vom Hauseigentümerverband, welche von Vorstandsmitglied und Regionalvertreter Stadt Winterthur Matthias Baumberger und HEV-Geschäftsführer Ralph Bauert erstellt wurde, finden Sie in diesem Artikel: Teilrevision Bau- und Zonenordnung Stadt Winterthur: Nein zur Grünflächenziffer

Landbote vom 21. Januar 2025, Titelseite

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Architekten empört wegen erhöhter Grünflächenziffer

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Landbote vom 21. Januar 2025, Seite 3

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