Kennen Sie Karen Kingston? – Nein? Sie hat zwar nicht das Aufräumen erfunden, aber ganz viel darüber geschrieben und gesprochen. «Feng-Shui gegen das Gerümpel des Alltags», heisst ein Buch von ihr. Davon beeindrucken liess sich auch die Aargauerin Caroline Bamert, seit 2015 Aufräum-Coach von Beruf und aus Berufung.
Wegenstetten heisst der Ort und liegt im schönen Fricktal. Das Gelände ein Auf und Ab wie im Emmental. Und mitten in einem Einfamilienhausquartier, etwas abseits vom Kern des beschaulichen 1000-Seelen-Dorfes, steht ein hübsches Einfamilienhaus, das sich von der ideenlosen CAD-Architektur wohltuend abhebt. Caroline Bamert wohnt zusammen mit ihrem Mann und der 16-jährigen Tochter Belinda in diesem Haus.
Spüren, wann es Zeit ist zum Loslassen
Der erste Blick täuscht nicht. Hier ist alles in aufgeräumter Stimmung, buchstäblich. Die warme Steppjacke des Gastes versorgt Caroline in der begeh- und abschliessbaren Garderobe. Der Einschluss wäre nicht nötig. Sieht auch hier ordentlich aus – wie in der Theatergarderobe, alles fein säuberlich an der Stange eingereiht.
Nomen est omen. Aufräum-Coach verpflichtet – «und tut auch gar nicht weh», feixt Caroline Bamert, die schon verschiedene berufliche Wege eingeschlagen hat und immer wusste, wann es Zeit war, etwas Neues anzupacken. Das machte sie mehrmals, mit Erfolg. Eine tragische Geschichte eröffnet ihr das Bewusstsein. Sie war Flight Attendant bei der Swissair, zufrieden mit dem Beruf und sich selbst. Als sie nach der Gründung der Swiss erstmals auf einer Maschine das abgedeckte «air» erblickte, schwand ihre Freude und vor allem die Identifikation für das einst so stolze Schweizer Flaggschiff. Es war Zeit zu gehen. Fast Gleiches widerfuhr ihr ein zweites Mal in der Pharmaindustrie.
Schnell geht es bis zur Unübersichtlichkeit
Diese zwei einschneidenden beruflichen Erlebnisse gaben ihr die Kraft und den nötigen Impuls, eine Auszeit zu nehmen – und die Zeit unter anderem dafür zu nutzen, Ordnung in ihr Leben und ihre räumliche Umgebung zu schaffen. Sie entdeckte durch Zufall das Buch von Karen Kingston: «Feng-Shui gegen das Gerümpel im Alltag». Karen Kingston ist eine weltweit führende Expertin für «Space clearing». Darunter versteht die Engländerin die Kunst der Reinigung und Segnung eines Ortes.
Der Inhalt dieses Buchs öffnete ihr den Blick auf ihr eigenes bisheriges Leben, in dem sich einiges angesammelt hatte. «Du verlässt das Mädchenzimmer bei den Eltern, hast die erste eigene Wohnung und später vielleicht ein Haus mit deinem Lebenspartner. Und alles, was du mitnimmst, oder was sich anhäuft, findet Platz. Noch Platz.» Und dann? Irgendwann schichten sich die Relikte aus der Vergangenheit, meist im Keller oder Estrich. «Während die Regale an der Wand strukturiert gefüllt sind, fühlen sich die davorstehenden Schichten an wie ein archäologischer Fund.»
Die Entrümpelung zu Hause befasst sich zum einen mit der Vergangenheit, zum anderen mit der Zukunft. Was brauche ich nicht mehr, was könnte mir künftig noch nützlich sein?
Caroline Bamert
Sie hat während dieses Entrümpelungsprozesses mitgemacht, was ihre heutigen Kundinnen und Kunden ebenfalls erleben. An jedem gesammelten Stück hängt eine Geschichte oder Erinnerung. Was ist stärker: der Trennungsschmerz oder die Vernunft? Caroline Bamert hat ihre eigene Technik entwickelt, nachdem sie sich in einschlägiger Literatur immer wieder schlau gemacht hat. Eines weiss sie ganz genau, und nicht nur aus eigener Erfahrung: «Es ist ein Prozess, der etwas mehr Zeit braucht.»
Von einfach zu schwierig
Wir sitzen im gemütlichen Essbereich des Hauses, in einem geschlossenen Wintergarten. Auf der gemütlichen Couch liegt ein Kissen: «Träum mal drüber nach!» steht da. Ein witziges Wortspiel – und es passt zum Thema. Von hier aus eröffnet sich der Blick auf die Küche. Was steht da? Nicht viel. Eine Kaffeemaschine, eine Multifunktionsküchenmaschine und nicht viel mehr. Die Arbeitsflächen sind blank. Blitzblank. Während ich mich in diese Gedanken verliere, schaltet sich die Aufräum-Coachin ein. «Sie wollten ein Bild machen: ‹Vorher/nachher›, richtig?› Genau! Das gehe schnell, sagt sie. Auch das «Nachher» wieder zum «Vorher» zu machen. Die Küche. Das ist unser Thema. Aber nicht nur, wie sich im Gespräch schnell herausstellt. Ein Aufräum-Coaching lasse sich durchaus modular angehen – also zum Beispiel nur Werkstatt, Schlafraum und Schränke, Büroraum oder Bastelraum. Oder einfach den Küchen- und vielleicht noch Badezimmerbereich. In der Praxis stelle sich vielfach schnell heraus, dass das «Übel» selten nur in einem Bereich stecke. «Aber möglich ist alles». «Von einfach zu schwierig» titelt Caroline Bamert In ihrem Acht-Punkte-Programm die Vorgehensweise bei der ganzheitlichen Haus- oder Wohnungsentrümpelung.
Im Grundsatz ist die Vorgehensweise immer dieselbe, auch in ihrem Acht-Punkte-Programm. Im Küchenbereich, das weiss sie aus ihrer fast zehnjährigen Arbeit, kommt einiges zusammen. Sie schmunzelt: «Nicht so viel wie im Keller oder Estrich, aber in der Küche geht möglicherweise viel Geld verloren.» Der Klassiker sind etwa die unzähligen Teile von Tupperware, die sich über die Jahre angesammelt haben und immer mehr Platz in den immer voller werdenden Schränken benötigen. Eine ähnliche Erfolgsgeschichte im Haushaltsmarketing widerspiegelt die Produkte von einer bekannten fiktiven Schweizer Köchin. Die Versuchung ist gross, auch Dinge zu kaufen, die man vielleicht ein- oder zwei Mal braucht, bis sie in einem Schrank verschwinden.
Wenn Aktionen locken
Den grössten Druck auf das Haushaltsbudget verursachen Impulskäufe (z. B. Aktionen, auch wenn zum Beispiel die Regale zu Hause mit Teigwaren gefüllt sind) und falsche Lagerbewirtschaftung. Ist ein Produkt abgelaufen, landet es im Abfall. «Food-Waste» ist Mahnmal und Schimpfwort zugleich.
Wer es richtig machen will, hat am Ende des Tages sämtliche Arbeitsflächen frei, ausser Haushaltsgeräte, die täglich oder häufig in Gebrauch sind (Kaffeemaschine, Mixer, Schneidemaschine) stehen dort. In tiefen Küchenschränken sollte trotz allem überblickbar sein, was sich darin befindet. Caroline Bamert empfiehlt Rollboxen, die Gelagertes auf einen Blick sichtbar machen.
Zeit nehmen für Einkaufszettel und die Einlagerung
Für unsere Fotodokumentation «Vorher/nachher» zeigt Caroline Bamert, wie schnell die kurz für die Unordnung aufgestellten Dinge wieder an ihrem Platz sind. Mehr Zeit nehmen muss man sich für den Einkaufszettel. Darauf soll stehen, was wirklich nötig ist oder im Kühlschrank oder in Küchenschränken fehlt. Gleiches gilt für die Einlagerung der gekauften Produkte. Wer Ordnung halten will, wird schnell einmal vor den gefürchteten Impulskäufen gefeit sein.
Tönt in der Theorie ganz gut. Und wie ist es in der Praxis? Der Blick fällt noch einmal auf das besagte Couchkissen, das sie übrigens in einem ihrer Lieblingsläden im Emmental gefunden hat, wo drauf steht: «Träum mal drüber nach!» Caroline Bamert schmunzelt: «Am Anfang reicht es auch schon, einfach mal drüber nachzudenken!»
Ganz aufgeräumt
Aufräum-Coachin Caroline Bamert führt acht Punkte auf, die dem geplanten Entrümpeln Struktur geben sollen.
- Ja, ich will
Bereitschaft muss klar vorhanden sein, und die Zeit dazu auch. - Nach Kategorien entrümpeln und aussortieren
Gleiche Gegenstände sammeln, im Vergleich wird sichtbar, was gefällt und was nicht (mehr). - Kriterien und Fragen beim Aussortieren
Glücksfrage: Macht mich dieser Gegenstand glücklich? Oder Zweckfrage: Brauche ich ihn? - Helferlein bereitstellen
Abfallsack, Papiersammler, Textilspendesack, Schnur, Schere, Stift, Post-it, Klebband etc. - Von einfach bis schwierig
Es gibt Zimmer, die sind viel einfacher zu entrümpeln als andere. Ein guter Start ist im Badezimmer, dann Schlafzimmer/Garderobe, Küche, Wohnzimmer, Büro und Keller/Estrich. - Ein fester Ort für alles
Alle Gegenstände einer Kategorie an einem Ort aufbewahren, den Platz dafür definieren. - Nicht gleichzeitig putzen
Man kommt vom Entrümpeln in den «Frühjahrsputzmodus» = einfachere Ersatzhandlung. Erlaubt: mit einem Lappen kurz die Flächen reinigen. - Sofort entsorgen
Erfolgreicher Abschluss eines Aufräumobjekts ist das Bewusstsein für das sofortige Entsorgen – ob direkt in den Müll oder an Weiterverwendungsorte.
Kurzbiografie Caroline Bamert
Der Werdegang von Caroline Bamert ist speziell und interessant: Ausbildung zur eidg. Dipl. Coiffeuse (1988), eidg. Dipl. kaufmännische Angestellte (1989), eidg. Dipl. Flight Attendant (1995), eidg. Dipl. Marketingplanerin (2006); CAS Social Media Management (2014), Integral Coach CIS (2015), Ausbildungsleitung Zert. Aufräumcoach FDL (2018).
So beschreibt sie sich: (…) Nach zehn Jahren in luftiger Höhe tauschte ich meine grosse Leidenschaft – das Fliegen – gegen spannende Jahre im Marketingbereich von verschiedenen Schweizer Firmen. Die letzte berufliche Veränderung sah eine Auszeit vor: Nachdem ich fast acht Jahre die Herausforderung annahm, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen, war es mir wichtig, in und ums Haus wieder einmal alles auf Vordermann zu bringen. Um dies zu meistern, begann ich, mich intensiv mit den Themen Aufräumen und Entrümpeln zu befassen. (…)