Unseren Eltern und Grosseltern war der Begriff noch geläufig: Versorgungssicherheit. Er war noch in der Nachkriegszeit eng verknüpft mit Vorsorge und Vorrat. In den 1980er Jahren wurde er in vielen Bereichen unseres Lebens abgelöst durch Bedarfsnachweise. In der Industrie begann die Zeit der Lieferungen «Just-in-time», der Beschaffung dort, wo es am günstigsten war, dann wenn das Material gebraucht wurde. Das Resultat waren weitverzweigte Lieferketten und lange, ja weltumspannende Transportwege. Dieses Konzept hat mit der Pandemie einen empfindlichen Dämpfer erhalten, der sich mit dem Krieg in der Ukraine noch akzentuiert hat.
Als hochentwickeltes Land ist die Schweiz so gut wie in allen Lebensbereichen im Übermass von funktionierenden Weltmärkten abhängig. Wer heute ein Auto kaufen oder eine Solaranlage bauen will muss mit Wartezeiten von mehreren Monaten rechnen. Industrie und produzierendes Gewerbe haben zwar volle Auftragsbücher, können aber nicht im gleichen Ausmass Umsätze generieren. Gemäss einer Umfrage von economiesuisse betreffen die Engpässe besonders Rohstoffe und Verbrauchsgüter: 57 Prozent der Firmen geben an, dass es ihnen daran mangelt. Genannt werden beispielsweise Aluminium und Holz, aber auch Betriebsmittel. Entsprechend fehlen nachgelagert auch Gebrauchsgüter, wie beispielsweise Maschinen oder Halbleiter. Kriegsbedingt gibt es Schwierigkeiten beim Import von Rohmetallen und metallhaltigen Vorstoffen. Das sind nur Beispiele.
Gasversorgung
Europas, insbesondere Deutschlands Versorgung mit Gas, hängt äusserst stark von Russland ab. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist eine eigentliche Gasdiplomatie entstanden. Regierungschefs und Minister geben sich in den Ländern Afrikas und im Nahen Osten die Klinke in die Hand. Auch die Schweizer Gasindustrie unternimmt grosse Anstrengungen, um die Gasversorgung für die kommenden Monate und Jahre sicherzustellen. 15 Prozent der Schweizer Haushalte heizen mit Gas. Noch wichtiger ist Gas für die produzierende Wirtschaft. Wir haben keine Gasspeicher im eigenen Land, unsere potentiellen Gasvorkommen sind grösstenteils nicht erschlossen.
Stromversorgung
Wir sind zu Recht stolz auf unsere weitgehend CO2-freie Stromversorgung. Was uns weniger mit Stolz erfüllen sollte ist, dass die Energiestrategie 2050 sich als nicht krisentauglich erwiesen könnte. Der Zubau neuer erneuerbarer Energien kommt nicht voran. Die Hoffnungen auf dereinst 4 Terawatt Strom aus Geothermie haben sich zerschlagen, Windkraftwerkprojekte stehen selbst dort, wo sie dank Subventionen «wirtschaftlich» betrieben werden könnten, im Gegenwind. Die langfristigen Lieferverträge mit französischen Kernkraftwerken laufen demnächst aus.
Winterhalbjahr kritisch
Deutschland’s Energiestrategie, die wir weitgehend kopiert haben, führt dazu, dass wir aus dem Norden ab 2025 im Winter keinen Strom mehr werden beziehen können. Ob das vom grünen Wirtschaftsminister angekündigte Hochfahren der alten Kohlekraftwerke dran etwas ändern wird, ist mindestens zweifelhaft. Im Westen sieht es ähnlich aus, da die Hälfte der Kernkraftwerke Frankreichs in Revision sind. Der Ausbau der Schweizer Wasserkraft, selbst wenn er in so kurzer Zeit gelänge, reicht bei weitem nicht aus, um die Stromversorgung ab 2025 im Winterhalbjahr ohne gezielte Abschaltungen einzelner Bezüger auszuschliessen.
Wir riskieren vielleicht schon im kommenden Winterhalbjahr eine Strommangellage, was nichts mit einem Blackout zu tun hat. Stromunterbrüche kann es auch bei ausreichender Versorgung wegen Zwischenfällen im Netz immer geben. Ein Blackout ist gleichbedeutend mit dem Zusammenbruch des europäischen Netzes. Versorgungssicherheit muss wieder einen höheren Stellenwert bekommen. Wir müssen wieder lernen vorzusorgen. Das bedingt mehr Realismus bei der Einschätzung von Zeit, Kosten und Risiken der Energiestrategie. Die Rückfallposition, Gaskraftwerke zu bauen, um den Spitzenbedarf im Winter zu decken, scheint mehr als unwahrscheinlich zu sein.