In der Schweiz sollen im Zuge der Energiewende Hunderte oder sogar Tausende Windräder aufgestellt werden. Für Anwohner könnte das nicht nur störende Auswirkungen haben, sondern auch erhebliche finanzielle Verluste bedeuten. Das geht aus einer neuen Studie des Hauseigentümerverbands (HEV) Region Winterthur hervor. Demnach drohen Besitzern von Wohnhäusern empfindliche Wertminderungen, wenn in ihrer Nähe Windkraftanlagen gebaut werden (siehe hier).
Was wichtig ist:
Die Studie geht von Windrädern aus, wie sie derzeit im Kanton Zürich geplant sind: Sie haben eine Leistung von 5,5 Megawatt und sind inklusive Rotoren 220 Meter hoch. Wird eine solche Anlage im Abstand von 300 Meter zu bewohnten Häusern errichtet, droht eine Wertminderung der entsprechenden Immobilien von satten 25 Prozent. Bei einem Abstand von einem Kilometer müssen die Eigentümer mit einem Verlust von acht Prozent rechnen. Selbst bei einer Entfernung von zwei Kilometer droht noch immer eine Einbusse von fünf Prozent. Absolut gesehen geht es rasch um Zehntausende oder sogar Hunderttausende Franken. Werden mehrere Windräder aufgestellt, kann die Wertminderung noch grösser sein.
Schatten, Lärm und Eiswurf
Derzeit tobt in vielen Zürcher Gemeinden ein Streit um Mindestabstände zwischen Windturbinen und bewohnten Gebäuden. Denn im Kanton Zürich sollen laut den Plänen des grünen Baudirektors Martin Neukom bis zu 120 Windräder aufgestellt werden. Inzwischen sind bereits in 25 Gemeinden des Kantons Initiativen für einen Mindestabstand eingereicht worden, der je nachdem 700, 800 oder 1000 Meter beträgt. Die Studie des HEV Winterthur zeigt nun, dass die Sorgen der Bevölkerung auch aus finanzieller Sicht gerechtfertigt sind.
Windanlagen haben verschiedene Auswirkungen auf die Anwohner: Erstens stören sie das Landschaftsbild. Erst ab einer Distanz von etwa zehn Kilometern ist die Sichtbarkeit kein Problem mehr. Zweitens werfen sie Schatten, der wegen den drehenden Rotoren unter Umständen schnell wechselnd ist. Man spricht vom Disco-Effekt.
Drittens droht Lärm. Es handelt sich sowohl um Luftgeräusche der Rotoren als auch um mechanische Geräusche, erzeugt von Generator und Getriebe. Erst ab einem Abstand von rund 1000 Meter zu einem Windrad kann die Lärmverordnung des Bundes eingehalten werden. Und viertens ist im Winter bis zu einer Distanz von etwa 450 Meter mit Eiswurf zu rechnen: Wegen der Drehbewegung schleudern die Rotoren Eisstücke weg, was für Anwohner gefährlich ist und Gebäude beschädigen kann.
Erste substanzielle Studie zu Wertminderungen in der Schweiz
Autor der neuen Studie ist Ralph Bauert, Geschäftsführer des HEV Winterthurs. Der Architekt und diplomierte Immobilien-Treuhänder hat diverse wissenschaftliche Arbeiten aus dem Ausland zu Wertminderungen wegen Windanlagen auswertet, etwa solche aus Deutschland, Dänemark, den Niederlanden und Grossbritannien. Diese zeigen, dass Hausbesitzer in der Nähe von Windrädern bei einem Verkauf ihrer Liegenschaft einen Abschlag von 10 oder 20 Prozent, im Extremfall sogar von 30 bis 40 Prozent hinnehmen mussten.
Gestützt auf solche Daten hat Bauert die durchschnittlichen Wertminderungen bei verschiedenen Abständen abgeschätzt. Er ist dabei Pionier. Denn bisher gab es in der Schweiz, abgesehen von einem eher inhaltslosen Bericht im Kanton Thurgau, keine entsprechende Studie.
Den Kern von Bauerts Studie bildet eine Grafik, die zeigt, welche Wertminderungen von Wohnhäusern in Abhängigkeit bestimmter Abstände zu Windrädern drohen. Es handelt sich um Durchschnittswerte, denn die entsprechenden Einbussen hängen auch vom Anlagentyp, von der Topografie und von der Himmelsrichtung ab, in welcher die Windräder bezüglich der Immobilien stehen. So wirft eine Anlage im Norden keinen Schatten auf eine Liegenschaft, während Anlagen im Westen und Osten diesbezüglich besonders störend sind.
Die Wertminderung von Immobilien wegen Windrädern sei bisher in der Schweiz kaum ein Thema, stellt Ralph Bauert fest. So gebe es zum Beispiel beim Kanton Zürich keinerlei Informationen dazu – trotz der erwähnten umfangreichen Windenergiepläne. «Das ist ein Mangel», sagt Bauert. «Denn die Behörden müssten wissen, wie sie mit solchen finanziellen Einbussen umgehen.»
Abgeltungen könnte dreistelligen Millionenbetrag kosten
Grundsätzlich gibt es laut Ralph Bauert zwei Möglichkeiten, auf die drohenden Wertminderungen zu reagieren: «Entweder die Kantone sehen grosszügige Mindestabstände vor, sodass möglichst wenig Anwohner von finanziellen Verlusten betroffen sind. Oder sie bieten den Betroffenen entsprechende Abgeltungen.»
Allerdings: Solche Abgeltungen können sich insgesamt rasch auf hohe Beträge summieren. Ralph Bauert spricht von einem dreistelligen Millionenbetrag, der allein im Kanton Zürich fällig werden könnte – zumindest bei entsprechend ungünstiger Verteilung der Windräder.
Konkrete Forderungen, die sich aus der Studie ableiten lassen, erhebt der HEV Winterthur derzeit nicht. Es scheint aber wichtig, dass Entscheidungen über neue Windräder im Wissen getroffen werden, dass diese Anlagen zu erheblichen Wertminderungen bei Anwohnern führen können. Jedenfalls könnte die Energiewende angesichts möglicher hoher Entschädigungszahlungen nochmals deutlich teurer werden als gedacht.
Studie: siehe hier
Alex Reichmuth, Nebelspalter
Der Nebelspalter berichtet in der Onlineausgabe am 19. Oktober 2023 über die Analyse vom Hauseigentümerverband Region Winterthur zum Einfluss von Windenergieanlagen auf die Immobillienpreise.
Link zum Artikel vom Nebelspalter: Windräder vermindern den Wert von Wohnhäusern erheblich
Link zur HEV-Analyse: Einfluss von Windenergieanlagen auf Immobilienpreise