Das Institut der Ersitzung ist im Schweizer Recht bei Grundstücken, beweglichen Sachen, Kulturgütern, Dienstbarkeiten und Baubewilligungen zu finden. Ein kurzer Überblick.
Allgemein
Unter Ersitzung versteht man den Erwerb eines Rechts an einer Sache als Folge eines langen und unangefochtenen (gutgläubigen) Besitzes. Die Ersitzung von Grundstücken ist in den Art. 661 bis 663 ZGB und von beweglichen Sachen, Tieren und Kulturgütern im Art. 728 ZGB geregelt.
Historisch
Im römischen Recht nannte man die Ersitzung usucapio. Nach den römischen 12-Tafeln, einer Gesetzessammlung, die um 450 v. Chr. entstand, konnten Grundstücke nach zwei Jahren und andere Gegenstände nach einem Jahr ersessen werden.
Vom Mittelalter bis 1912 konnte man Land in der Schweiz bei Fristen zwischen 10 und 30 Jahren ersitzen. Dies änderte sich erst mit der Einführung des eidgenössischen Grundbuches für das gesamte Gebiet der Schweiz.
Grundstücke
Das Gesetz unterteilt die Ersitzung in eine ordentliche und ausserordentliche. Bei einer ordentlichen, auch Tabular- oder Buchersitzung genannt, ist jemand ungerechtfertigt im Grundbuch als Eigentümer eingetragen, z.B. ungültiger Kaufvertrag, so kann sein Eigentum, nachdem er das Grundstück in gutem Glauben zehn Jahre lang ununterbrochen und unangefochten besessen hat, nicht mehr angefochten werden (Art. 661 ZGB).
Bei der ausserordentlichen Ersitzung, auch Blanko- oder Extratabularersitzung genannt, besitzt jemand ein Grundstück, das nicht im Grundbuch aufgenommen ist, ununterbrochen und unangefochten während 30 Jahren als sein Eigentum, so kann er verlangen, dass er als Eigentümer eingetragen wird (Art. 662 Abs. 1 ZGB). Guter Glaube ist nicht erforderlich. Unter den gleichen Voraussetzungen steht dieses Recht dem Besitzer eines Grundstückes zu, dessen Eigentümer aus dem Grundbuch nicht ersichtlich ist oder bei Beginn der Ersitzungsfrist von 30 Jahren tot oder für verschollen erklärt war (Art. 662 Abs. 2 ZGB).
Die Eintragung darf jedoch nur auf Verfügung des Gerichts erfolgen, nachdem binnen einer durch amtliche Auskündung angesetzten Frist kein Einspruch erhoben oder der erfolgte Einspruch abgewiesen worden ist (Art. 662 Abs. 3 ZGB).
Ist nun der Eigentümer rechtsgültig und ohne Mangelbehaftung im Grundbuch eingetragen, so kann ein anderer sein Grundstück nicht durch Ersitzung zu seinem Eigentum erwerben.
Bewegliche Sachen, Tiere und Kulturgüter
Hat jemand eine fremde bewegliche Sache ununterbrochen und unangefochten während fünf Jahren in gutem Glauben als Eigentum in seinem Besitz, so wird er durch Ersitzung Eigentümer (Art. 728 Abs. 1 ZGB). Unter Vorbehalt gesetzlicher Ausnahmen beträgt die Ersitzungsfrist für Kulturgüter 30 Jahre (Art. 728 Abs. 1ter ZGB).
Bei Tieren, die im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden, beträgt die Frist zwei Monate (Art. 728 1bis ZGB).
Dienstbarkeiten
Es stellt sich die Frage, ob Dienstbarkeiten ersessen werden können. Nach Art. 731 Abs. 3 ist die Ersitzung nur zu Lasten von Grundstücken möglich, an denen das Eigentum ersessen werden kann. Analog bzw. sinngemäss der ordentlichen und ausserordentlichen Ersitzung bei Grundstücken gibt es bei der Ersitzung von Dienstbarkeiten. Bei der ordentlichen bedeutet dies nun, dass wenn eine Dienstbarkeit (fälschlich) im Grundbuch eingetragen und sie aber nie als solche begründet worden war, man nach der Verstreichung einer Frist von 10 Jahren die rechtsgültige Eintragung dieser verlangen kann. Bei der ausserordentlichen ist im Grundbuch nichts eingetragen, aber der Ersitzende übt sein Recht im guten Glauben und ununterbrochen aus. Zugleich sind keine Angaben über den Eigentümer ersichtlich oder er ist seit Beginn der Ersitzungsfrist tot oder als verschollen erklärt worden, so kann der Ersitzende eine rechtsgültige Eintragung nach 30 Jahren ins Grundbuch verlangen.
Der Ersitzende hat aber zu beweisen, dass sein Recht während dieser Frist unangefochten blieb.
„Ersitzung“ einer Baubewilligung
Das Recht kennt auch eine „Ersitzung“ bei rechtswidrig, das heisst ohne Baubewilligung, errichteten Gebäuden. Dies gilt auch bei Bauten und Anlagen, die ausserhalb der Bauzone errichtet worden sind. Hierbei ist die Frist nicht gesetzlich bestimmt. Aus dem Sachenrecht entlehnte man sich das Institut der „Ersitzung“. Grundsätzlich gilt nach Erstellung bzw. Fertigstellung des baurechtswidrigen Zustandes eine Verwirkungsfrist von 30 Jahren, auch wenn der Ersteller vom rechtswidrigen Zustand wusste. Danach hat der Grundeigentümer das Recht ersessen den rechtswidrigen Zustand des Gebäudes beizubehalten. Sollte die Baute aber zerstört werden oder der Eigentümer bricht sie ab, so darf sie nicht erneuert, ersetzt und auch nicht erweitert werden. Die Behörde darf trotz ersessenem Recht den Abbruch anordnen, wenn aus Gründen der Sicherheit von einer Beseitigung nicht abgesehen werden darf. Zudem beginnt die Verwirkungsfrist immer neu zu laufen, wenn der Eigentümer am nicht bewilligten Bau weiter arbeitet. Somit herrscht hier in den seltensten Fällen eine Rechtssicherheit und es empfiehlt sich bei der Baubehörde immer nachzufragen, ob eine Baubewilligung notwendig ist und wenn nicht, sich dies schriftlich geben zu lassen.
Aus dem Gesagten wird deutlich, dass es sehr schwierig ist Grundstücke oder Dienstbarkeiten zu ersitzen, weswegen sie heute auch kaum von Bedeutung sind.